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Wenn ihr einen Text aus der Serie lest, und das Werk dazu hört, dann diesen! Mir ist klar, dass es anstrengend ist: das soll so! Es ging mir beim ersten Hören (ca. 2013) durch Mark und Bein und lässt mich seitdem nicht los. 

Komponiert 1937, gehört Litanies zu den bekanntesten Orgelwerken Jehan Alains und für mich zum expressivsten, was das französische Orgelrepertoire des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Stilistisch bewegt sich das Stück zwischen Spätimpressionismus, modaler Klangsprache und rhythmischer Motorik - eigenständig und kaum einer Schule zuzuordnen. Alain starb 1940 mit 29 Jahren im Zweiten Weltkrieg; sein schmales Werk wirkt durch diese biografische Härte umso verdichteter.

Als Vorwort schrieb Alain:
„Wenn die christliche Seele in ihrer Not keine neuen Worte mehr findet, um Gottes Barmherzigkeit anzuflehen, wiederholt sie unablässig dieselbe Anrufung – mit leidenschaftlichem Glauben. Der Verstand stößt an seine Grenze. Nur der Glaube setzt seinen Aufstieg fort.“ Litanies is für mich bis ins Detail die musikalisch Entsprechung dieses Vorwortes.

Alain schreibt den Satz in einem Moment tiefster persönlicher Erschütterung: Nur wenige Jahre zuvor hat seine Schwester Odile bei einem Unfall ihr Leben verloren – ein Ereignis, das die Familie zutiefst prägte. Litanies ist keine Meditation, sondern ein Ausbruch: ein stoßweises, insistierendes, rhythmisch getriebenes Stück, das sich nicht um Beruhigung bemüht, sondern um Ausdruck reiner, verzweifelter Beharrlichkeit.

Musikalisch basiert das Werk auf einem einzigen Thema, das in unterschiedlichen Gestalten durchkomponiert wird – nicht als Variation, sondern als unnachgiebige Wiederholung mit wachsender Intensität. Die Harmonik ist dissonanzgesättigt, aber klar geführt, der Rhythmus präzise, fast martialisch. Es gibt keine langsamen Passagen, keine Auflösung – das Stück endet im äußersten Fortissimo, als würde das Gebet in den Himmel geschleudert, nicht gesprochen.

Jehan Alain gilt heute als Außenseiter im Orgelkanon: jung, radikal, lyrisch, rhythmisch eigen – und nicht zuletzt der ältere Bruder von Marie-Claire Alain, die sein Werk zeitlebens bewahrt und aufgeführt hat (gibt eine tolle Interpretation von ihr). 

Litanies ist kein liturgisches Werk. Es ist ein existenzieller Monolog – atemlos, verzweifelt und unfassbar konzentriert.

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Birk S

Jehan Alain - Litanies (JA 119)

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